Die Kritik an der sozialen Verdrängung (Gentrifizierung) in Linden wurde 2011 mit der Besetzung der Limmerstraße 98 und weiteren Aktionen in den Folgejahren in die Öffentlichkeit getragen. Im bürgerlichen Lager wurde lange versucht, diese Entwicklung kleinzureden oder gleich komplett zu leugnen.
2016 ist das nicht mehr möglich. Die Veröffentlichung des Mietspiegels in Hannover zeigt eine klare negative Tendenz – Die Mieten steigen rapide !
Zitat aus dem Madsack-Blatt „Hallo Wochenende“ vom 03.12.2016
„Obwohl in Hannover inzwischen mehr als 1000 Wohnungen pro Jahr neu gebaut werden und der Rat ein ehrgeiziges Förderprogramm für preiswerten Wohnraum aufgelegt hat, steigen die Mieten kräftig weiter an. Der neue Mietspiegel weist einen Anstieg von 5,6 Prozent für die vergangenen zwei Jahre, seit 2011 sind es sogar 11,8 Prozent.“ [Zitat vom Mieterbund im Folgenden: ] „Früher hieß es immer, dass für Mieten ein Viertel des Monatsgehalts ausgegeben werden sollte, heute sind es oft bis zu 55 Prozent. Für viele Haushalte stelle der Mietspiegel eine deutliche Belastung dar, weil die Mieten viel stärker als die Löhne steigen.“
Das diakonische Werk schätzt in Hannover 4000 Wohnungslose und stellt eine rapide Zunahme um 1000 Wohnungslose in 2016 fest 1.
Schlagzeilen in der HAZ (Hannoversche Allgemeine Zeitung), wie „Mieten steigen viel stärker als Löhne in Hannover“ oder „1600 Studenten suchen noch eine Wohnung in Hannover“ zeigen, dass die Fakten auch nicht mehr durch die bürgerliche Presse ignoriert werden können 2.
Im Gegensatz stehen dazu Bewertungen der Wohnsituation aus der Vergangenheit, die die Negativentwicklung nicht sahen oder sehen wollten.
Zitat aus einem HAZ-Artikel aus dem Jahr 2012:
„Dieter Cordes von der Wohnungsbaugesellschaft GBH sprach von `moderatem` Anstieg, selbst bei Neuvermietungen gebe es für `Horrorzahlen, die wir zum Teil aus den Medien hören, keine Anhaltspunkte`.“ 3
2013 wurde sich im HAZ-Forum folgendermaßen leugnend geäußert:
„Der Vorsitzende des Eigentümerverbundes Haus & Grundeigentum kann in Hannover keine Gentrifizierung erkennen: “Die gibt es nicht.” Und erst recht nicht in Linden. […]Doch Beckmann war nicht allein mit dieser Meinung. Von der wissenschaftlichen Seite betrachtete Heiko Geiling, Professor für Politische Soziologie an der Uni Hannover, die Bewegungen auf dem Wohnungsmarkt. Nach vier Phasen kann man sie untersuchen und sie schließlich als Gentrifizierung einordnen – oder eben nicht. Und in Deutschland sieht er keine. Und auch nicht in Hannover.“ 4
Ein rasender Reporter aus Linden dachte 2014 sogar mit seinen Excel-Diagrammen, nicht nur den Klimawandel wegargumentieren zu können, er behauptete sogar nach einer „Inflationsbereinigung“ würden die Mieten in Linden sinken. Diese Aussage konnte er sogar in der HAZ platzieren und bei seinen eigentümlichen Freunden von „Haus+Grund“. 5
Die Inflation strebt aber seit Jahren gegen Null, folglich kann nicht mehr viel bereinigt werden. Die Mieten steigen trotzdem weiter! Aber diese Fakten hindern den populistischen Regionalpublizisten nicht, seine krude Miet-These weiter zu verbreiten.
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Im Wahlkampf 2016 in Hannover war die Wohnungsnot ein großes Thema, weil nicht mehr ignorierbar. Die Wahlversprechen der Parteien sollten suggerieren, dass es kapitalistische Lösungen für das Problem gibt. Mehr freigegebene Bauflächen, mehr Subventionen und schnellere Genehmigungsverfahren werden aber, soweit überhaupt Umsetzung erfolgt, nur Geschenke für Investor*innen sein.
Wohnungen sind nach der Marktlogik Waren, die möglichst hohen Profit abwerfen müssen. In dichtbewohnten Quartieren aus unsanierten Altbau Edelwohnungen machen, ist nach Marktlogik immer weitaus mehr profitabel, als Sozialwohnungen zu erstellen. Eine Ausrichtung nach den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen ist innerhalb dieses Systems nicht möglich.
Ungleichheit ist in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der sich das Kapital in den Händen von Eigentümer*innen befindet und die große Mehrheit ihre Arbeitskraft verkaufen muss, strukturell angelegt.
Eine Kapitalismuskritik, die lediglich auf dem moralischen Fehlverhalten Gier aufbaut (…sind doch nur Einzelfälle…), verkürzt die Kritik auf gefährliche Weise. Nicht Gier, sondern die Struktur und Dynamik des Kapitals an sich ist die Ursache für die gegenwärtige Reichtumsverteilung und die Spaltung der Gesellschaft. Das System an sich, dessen Motor die Vermehrung von Kapital ist, befeuert sich selbst. Im Umkehrschluss kann sich ein Mensch aber nicht von seiner sozialen Verantwortung entheben, in dem er sich darauf beruft, dass er doch nur das existierende System zu seiner Bereicherung benutzt. Jeder Mensch hat soziale Verantwortung.
Ein grundsätzlicher positiver Wandel kann nur durch die Überwindung des Kapitalismus erreicht werden. Ein Bewusstwerden (Umdenken) aller Menschen ist erforderlich, um ein solidarisches Miteinander zu entwickeln. Der Bewusstwerdungsprozess muss durch Information, Diskussion und Aktion weitergetragen werden. Eine freie Gesellschaft ohne Inwertsetzung, ständigen Wettbewerb und Leistungszwang ist möglich. Befreien wir uns von diesen Zwängen ! Es gibt kein richtiges Leben im falschen ! Her mit dem schönen Leben für alle !
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http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Unternehmen-unterstuetzen-Obdachlosenhilfe-in-Hannover
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http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Die-Mieten-in-Hannover-sind-um-fuenf-Prozent-gestiegen
http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Mieten-steigen-viel-staerker-als-Loehne-in-Hannover
http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/1600-Studenten-suchen-noch-eine-Wohnung-in-Hannover
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http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Baupolitiker-streiten-ueber-Wohnungsmarkt-in-Hannover
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http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/HAZ-Forum-im-Anzeiger-Hochhaus-zum-Thema-Gentrifizierung-in-Linden
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http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Gentrifizierungsgegner-errechnet-sinkende-Mietpreise-in-Linden-Mitte
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https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Preise/Verbraucherpreisindizes/Verbraucherpreisindizes.html